Über Musik als Instrument der Selbstinszenierung von Herrschenden
Am 1. September 1715 starb in Versailles der französische König Ludwig XIV. Der "Sonnenkönig" galt als besonders kunstsinnig. Doch die Liebe zur Kunst war für ihn letztlich ein genau kalkuliertes Mittel, um seine Macht ins rechte Licht zu setzen.
Wenn ein Herrscher viel Macht hat, soll man das auch sehen – in dieser Auffassung hat es der französische König Ludwig XIV. zur unerreichten Meisterschaft gebracht: Wie kaum ein anderes gekröntes Haupt hat es der Sonnenkönig verstanden, seine Macht und seinen Einfluss durch verschwenderische Pracht und durch Ehrfurcht einflößendes Auftreten zu unterstreichen. Doch anders als die absolutistischen Herrscher seiner Zeit, beließ es Ludwig XIV. nicht allein beim Vorzeigen seines Besitzes – große Schlösser und hermelinbesetzte Mäntel hatten schließlich auch andere Könige. Ludwig XIV. instrumentalisierte die Künste, allen voran den Tanz und die Musik, um seinen Machtanspruch nach außen zu demonstrieren.
"Die Musik konnte natürlich unheimlich gut nach außen wirken. Das war natürlich etwas, was man repräsentieren konnte, und letztendlich die französische Musik in Europa etablieren konnte", sagt die Cembalistin Rebecca Maurer, die pünktlich zum 300. Todestag des Sonnenkönigs eine CD mit Stücken eingespielt hat, die am Hof des musikbegeisterten Regenten aufgeführt wurden. Musik war für Ludwig XIV. ein Mittel der Machtdemonstration, ein Vehikel der musikalischen Kriegführung, wenn man so will, mit dem Ziel "im Prinzip die gesamte Vorherrschaft nicht nur in der Politik, sondern auch in der Kunst anzustreben."
Beim Wunsch, seine Selbstdarstellung vollständig zu kontrollieren, ging Ludwig XIV. sogar so weit, eine bestimmte Tonart als seine "Hausmarke" zu etablieren. Rebecca Maurer ist aufgefallen, dass besonders viele Stücke in g-Moll stehen, auf Französisch "sol" – und es ist kein Zufall, dass "Sol" auch das französische Wort für "Sonne" ist. Damit grenzt er sich vom musikalischen Zeitgeschmack ab. Herrscherklänge assoziierte man gemeinhin mit dem Dur-Geschmetter von Fanfaren und Trompeten. Eine Moll-Tonart, wie sie Ludwig XIV. für sich gewählt hat, klingt anders. "Serieux et magnifique war eine Bezeichnung, eine Tonartcharakteristik aus der Zeit, also ernst und großartig, prachtvoll. Also, es hat jetzt nicht unbedingt etwas Strahlendes, es hat auch eher etwas Dunkles, Ehrfurchteinflößendes."
"Jeder hat im Prinzip nach seiner Pfeife zu tanzen"
Mag sein, dass die Wahl dieser Tonart auch etwas verrät über den Charakter des Sonnenkönigs. Denn nach den Maßstäben des 17. Jahrhunderts muss Ludwig XIV. ein unfassbarer Kontrollfreak gewesen sein. Es genügte ihm nicht, mit prunkvollen Tanz- und Musikveranstaltungen aufzutrumpfen, er lieferte die gewünschte Interpretation des Geschehens gleich mit. Etwa, indem er selbst auf die Bühne trat und in diesen Aufführungen nichts weniger als das Zentralgestirn verkörperte.
"Er ist ja als Apoll aufgetreten, als Sonnengott – nicht umsonst, denn das war natürlich eine unheimlich gute Rolle, in der man dieses Ehrfurcht einflößende gut versinnbildlichen konnte. Er thront am Himmel, strahlt bis in die letzten Winkel seines Reiches, was übrigens nicht nur Frankreich war, sondern die ganze Welt. Allerdings hat dieses Strahlen auch immer etwas mit 'Big Brother is watching you' zu tun: Er sieht auch alles, es entgeht ihm nichts. Und er möchte alles reglementieren. Jeder hat im Prinzip nach seiner Pfeife zu tanzen. Und das hat natürlich etwas Ehrfurcht einflößendes, auch etwas Beängstigendes."
Und so wurde dem Hochadel auf der Bühne des Schlosses Versailles für jeden weithin sichtbar die Rolle demonstriert, die der Sonnenkönig für die richtige hielt: Steigbügelhalter, die im vorgegebenen Rhythmus agieren mussten, und die im Idealfall etwas Glanz und Funkeln abbekamen vom übermächtigen König. Wie sich der Hofstaat dabei gefühlt haben muss, kann jeder nachvollziehen, der auf der Betriebsfeier schon mal vom Chef gezwungen worden ist, Karaoke zu singen. Jedoch hatte der Adel damals wenig Möglichkeiten, sich zu verweigern:
"Die konnten gar nicht anders. Es gab so eine Art Tanzzwang, mehr oder weniger. Was auch damit zu tun hatte: Louis XIV wollte den Adel domestizieren, er wollte nach seiner Erfahrung, die er als Kind mit der Fronde gemacht hat, mit dem Adelsaufstand, aus dieser Erfahrung heraus wollte er verhindern, dass so etwas wieder passieren kann, hat dann den Adel an den französischen Hof gezogen. Und die mussten natürlich auch irgendwie unterhalten werden – und dann konnte man mit so einem 'Ballet de Cours' gleich zwei Fliegen mit einer Klappe schlagen. Zum einen konnte man den Hof unheimlich gut abbilden, sozusagen als Spiegelbild des Kosmos – er in der Mitte, auf der Bühne wohlgemerkt, und die 'Trabanten' in gebührendem Abstand um ihn herum."
So wird denn der Absolutismus des Sonnenkönigs in dieser Szenerie besonders augenfällig: der Herrscher als derjenige, der bestimmt, wieviel Licht und wieviel Schatten den Untertanen zuteil wird.
Holger Hettinger DLF Kultur/Studio 9, Sendung vom 1. September 2019