Bruckners Streichquintett
»Konzerte junger Künstler« hieß die Reihe, in der sich das Ensemble Resonanz damals präsentieren durfte. An seiner Seite – ebenfalls annonciert als »junger französischer Geiger« – der Star-Violinist Renaud Capuçon. Ein Konzert mit Folgen, wie sich der Künstlerische Manager, Tobias Rempe, erinnert: »Es war nach diesem Konzert, dass Benedikt Stampa uns spontan einlud, eine eigene Konzertreihe in der Laeiszhalle zu begründen. Dieses Programm mit Adams und Vivaldi, das in der Ensemble-Dramaturgie-Küche ausgeklügelt wurde, öffnete den Weg in unsere Zukunft.« Rund sechs Jahre nach seiner Gründung steuerte das Ensemble erstmals einen »Heimathafen« an. In der eigenen Konzertreihe resonanzen hat es seither eine enorme Vielfalt und Bandbreite durchmessen – als Ensemble und immer wieder mit herausragenden Gastkünstler:innen wie Jean-Guihen Queyras oder Tabea Zimmermann, die, meist als Primi inter Pares, die Konzerte gemeinsam mit dem Ensemble gestaltet haben. Wer dabei war, erinnert sich gewiss noch an die Aufführung von Anton Bruckners Streichquintett (mit chorischer Besetzung) zum Saisonauftakt im September 2013. Aus diesem solitären Werk des 19. Jahrhunderts erklingt im Rahmen dieses Jubiläumskonzertes das formensprengende Adagio. In Bruckners Schaffen ist das Quintett tatsächlich einzigartig — es ist sein einziges Kammermusikwerk. Dies hat allerlei Spekulationen Vorschub geleistet, deren vielleicht abstruseste lautet, das Quintett hätte als »Fernorchester« im Rahmen einer Sinfonie erklingen sollen. Aber die Eigentümlichkeiten, die auch die Entstehungsgeschichte dieses Werks von Anton Bruckner begleiten, lassen die Phantasien blühen. Warum schreibt Bruckner, 17 Jahre nachdem ihn der Direktor des Konservatoriums Joseph Hellmesberger nach der Abschlussprüfung gebeten hat, ein Quartett zu komponieren, ein Quintett? Der Auftraggeber freilich freute sich auch nach so langer Zeit, das Werk nun zu erhalten, wie durch einen Brief Bruckners überliefert ist. »Hofkapellm. Hellmesberger ist ganz aus den Fugen vor Freude, u wills aufführen. Er ist total umgeändert, und zeichnet mich riesig aus.« Die ersten Stunden mit diesem Quartett haben die Musiker jedoch in so nachhaltige Verwirrung gestürzt, »Fingerschmerzen« eingeschlossen, dass Hellmesberger von Bruckner einen Ersatz für das Scherzo wünschte, den dieser mit einem Intermezzo noch vor Weihnachten desselben Jahres lieferte — erst mehrere Jahre später erfolgte die erste Aufführung durch das Hellmesberger-Quintett. Was die Musiker damals irritierte, mag man in den Worten des berühmten Musikkritikers Eduard Hanslick finden, die dieser nach einer Aufführung notierte. Für Hanslick wurde dieser »sanfteste und friedfertigste aller Menschen [...] im Moment des Componierens zum Anarchisten [...], der unbarmherzig Alles opfert, was Logik und Klarheit der Entwicklung, Einheit der Form und der Tonalität heißt. Wie eine unförmliche glühende Rauchsäule steigt seine Musik auf, bald diese, bald jene groteske Gestalt annehmend.« Als Ursache für das Phänomen war Dr. Hanslick natürlich auch rasch mit einer Diagnose zur Stelle: Orientierung am »Wagner-Styl«. Aus heutiger Sicht nobilitiert dieses Urteil Bruckners Unterfangen, denn er setzt die epische harmonische Dramaturgie Wagners hier zu gewaltigen Steigerungswirkungen ein. Als modernen Komponisten erleben heutige Ohren Anton Bruckner vielleicht gerade in jenen Momenten, in denen er die große Form als fragmentarisch vorführt, die Leere in der Fülle sucht. Nichtsdestotrotz wurde das Quintett Bruckners Durchbruch in der Gunst des Wiener Publikums. Selbst seine schärfsten Kritiker schlug er in den Bann, wie dieses Zeugnis des »Brahmsianers« Max Kalbeck belegt: Seine Musik duftet nach himmlischen Rosen und stinkt nach höllischem Schwefel — noch ein wenig verbindender Weihrauch dazwischen, und der Mystiker wäre fertig. Auch das F-Dur Quintett ist nur eine gemischte Reihenfolge musikalischer Hallucinationen, eine Apokalypse in vier Capiteln [...]. Gehören die [...] Sätze [1, 2 und 4] dem Inferno zu, so stammt das Adagio direct aus dem Paradiese. Es strömt eitel Licht aus, Licht in tausend Farben und Nuancen — der Abglanz einer bis in den siebten Himmel verzückten Vision.«
Patrick Hahn
aus: Programmheft zu resonanzen »mit tusch«