Leos Janáčeks erstes Streichquartett
Die musikalische Kompassnadel zeigt in unserem Musikstück diese Woche nach Osten – und Richtung Seelenfinsternis: Janáčeks Streichquartett "Kreutzersonate" bewegt sich ständig am Rande der psychischen Schmerzgrenze. Großartige, soghafte Musik von kompromissloser Intensität. In unserem Mitschnitt vom Bodenseefestival 2015 spielt das tschechische Pavel Haas Quart
"Kreutzersonate" heißt das erste (von zwei) Streichquartetten von Leos Janáček. Er schrieb es mit 69 Jahren, inspiriert von Leo Tolstois Novelle "Die Kreutzersonate". Darin schildert Tolstoi das Psychogramm einer zerrütteten Ehe: Ein alternder Ehemann beobachtet voller Argwohn, wie seine junge Frau emotional aufblüht, als sie mit einem befreundeten Geiger Musik macht. Die beiden spielen Beethovens Kreutzersonate (daher der Name der Novelle). Der Mann redet sich ein, Opfer eines Betrugs zu sein, und er steigert sich so sehr in seine Gefühle von Eifersucht und Hass hinein, dass er seine Frau schließlich tötet.
Janáček hat diese grausame Geschichte nicht eins zu eins in Musik übersetzt – auch wenn es Deutungen gibt, die genau das zu belegen versuchen, und die zum Beispiel den Mord im dritten Satz des Quartetts lokalisieren - in Takt 66. Was Janacek aber tatsächlich in der Musik spiegelt, ist die sprachliche Intensität, mit der Tolstoi erzählt und die düstere, verstörte Stimmung der "Kreutzersonate". Janacek schreibt eine Seelenmusik, kompromisslos und stark im Ausdruck, immer an der Grenze zwischen Wohlklang und Geräusch, mit abrupten Tempowechseln, schroff nebeneinandergestellten Formteilen und betont hässlichen Farben - wie dem Spiel sul ponticello, also nahe am Steg, was einen unangenehm kratzigen Klang erzeugt. Die Musik ist ein klingender Monolog, in dem Seelenqualen zu Tönen werden, Verzweiflung, Verletzung und Brutalität.
Der Beitrag von Doris Blaich erschien am 18.01.2016 in der Reihe "Musikstück der Woche" im SWR2