Maria Gnann über die »Danse sacrée et profane« von Claude Debussy
Debussys Tänze für Harfe und Streichorchester, der »geistliche« und der »weltliche«, wirken harmlos. Vielleicht ein bisschen nostalgisch. Bruchstückhafte Melodien schimmern in seiner Danse sacrée wie längst vergessene Hymnen, alte Tonarten und Quart- und Quintakkorde erzeugen mystische Klänge. Sanft bestätigt das Streichorchester das leicht melancholische Harfengeflüster. Friedvoller Einklang.
Ein bisschen plumper bewegt Debussy die Harfe durch seine Danse profane. Ihre Klänge schaukeln hin und her auf dem flauschigen Orchesterteppich, pendeln sich gemächlich ein zwischen zwei, drei Akkorden. Die Partie nimmt allmählich Fahrt auf, Debussy malt Arpeggien wie Wasserfälle in die Harfenmelodie, so schäumend farbenfroh, dass die Musik strahlt wie ein Regenbogen. Alle Würde des vorangegangenen »heiligen« Tanzes wird abgeschüttelt und in Filmmusik reifen Kitsch verwandelt. Herrlich!
Aber in was für einer falschen Unschuld wiegt uns hier Claude Debussy! Kein einziger Klang verrät die heftige Krise, in der sich der Komponist befand: 1904 war ein dramatisches Jahr für ihn. Unsterblich verliebt hatte er sich, der schnell Entflammbare, in Emma Bardac, Hobbysängerin und Dame von Welt. Mit der Bankiersgattin brannte er durch, flüchtete aus Paris und ließ seine Frau Lily sitzen, die sich kurze Zeit später, am 14. Oktober, eine Revolverkugel in die Nähe des Herzens jagte. Sie überlebte, aber Debussy wollte Lily nach wie vor verlassen. Die Stimme seiner Frau sei ihm bis zu einem Grade unangenehm geworden, dass ihm das Blut in den Adern stocke.
Die Scheidung wurde hässlich und zog sich bis zum Spätsommer 1905. Debussys Freundeskreis schrumpfte. An Laloy, einer der wenigen verbliebenen Vertrauten, schrieb der Komponist: »Ich erzähle Ihnen nicht, durch welche Niederungen ich gehen musste. Es ist abscheulich, tragisch, manchmal gleicht es der ungewollten Ironie eines Hintertreppenromans. Und moralisch habe ich viel gelitten. Musste ich irgendeine vergessene Lebensschuld bezahlen? Ich weiß es nicht, aber oft musste ich lächeln, damit niemand ahnte, dass ich am Weinen war.«
Mit der neuen Frau und der gemeinsamen Tochter Claude-Emma, genannt Chouchou, die kurz darauf zur Welt kam, begann für Debussy ein neuer Lebensabschnitt. Die kleine Familie wohnte nun in der schicken Avenue du Bois de Boulogne, doch trotz des äußerlichen Aufstiegs ins Mondäne sahen die wirtschaftlichen Verhältnisse nicht gerade rosig aus. Um Geld zu verdienen, schrieb Debussy vermehrt Rezensionen für Zeitschriften. Als Komponist steckte er in einer Krise. Die Musik erschien ihm als Tyrannin, als »die unerträglichste der Megären«. Das lag auch daran, dass die Erwartungen an seine Werke enorm gestiegen waren.
Die Pariser Gesellschaft war im Debussy-Fieber, seitdem seine rätselhafte Oper Pélleas et Mélisande die Musikwelt verzaubert hatte. Ein leises Werk, das lauten Widerhall gefunden hatte und Debussys Namen von Frankreich nach Belgien, Deutschland, Italien und über den Ozean bis in die Vereinigten Staaten trug. Nach Pélleas schien für den Anfang Vierzigjährigen das Traumhafte, Unbewusste ausgereizt. Seine kritische Reflexion wuchs, auch durch das Schreiben von Texten. Ein griffiger, fein rhythmischer Kompositionsstil keimte. Debussy komponierte viel für Klavier, aber vor allem für Orchester. Die Kammermusik ließ er links liegen, lieber kreierte er eingängige, delikate Stücke für Soloinstrumente mit Klavier- oder Orchesterbegleitung.
Da passte der Kompositionsauftrag von Gustave Lyon gut. Der Ingenieur und Direktor der Klavierfabrik Pleyel wollte seine neue Erfindung bewerben: die chromatische Harfe. Er bestellte für einen Wettbewerb des Brüsseler Konservatoriums die Danses pour arpe chromatique et instruments à cordes – Tänze für chromatische Harfe und Streichinstrumente. Debussy komponierte sie im Frühling 1904 und widmete sie dem Erfinder. Der chromatischen Harfe bescherte das Werk allerdings nicht den erhofften Erfolg – die Konkurrenz eroberte mit der Doppelpedalharfe die Konzertsäle. Auch Debussy räumte Jahre später gegenüber seinem Freund und Verleger Jacques Durand deren Vorzug ein. Seinem Werk hat die Entwicklung nicht geschadet – die Tänze lassen sich auf beiden Harfenarten wunderbar interpretieren.