Beat Furrer im Gespräch mit Ruth Warnke
Mit dem Text von Lukrez, der auch heute Deinem neuen Werk »Spazio immergente III« zu Grunde liegt, hast Du bereits mehrfach gearbeitet, zuletzt in der im Januar in Berlin uraufgeführten Oper »Violetter Schnee». Worum geht es Dir in dieser Oper?
Die vertraute Welt ist fremd geworden. Andauernder Schneefall. Dunkelheit. Es ist etwas geschehen, das nicht beschrieben werden kann, für das es keine Sprache gibt. Nach langer Dunkelheit geht die Sonne wieder auf – aber es scheint eine fremde Sonne, deren violettes Licht, wenig irdisch, die Protagonisten zum Wahnsinn treibt, es wird ihnen unmöglich zu kommunizieren.
Geht es um soziale Beziehungen, um Naturzerstörung, Apokalypse?
Die Apokalypse ist im Laufe unserer Geschichte immer wieder bebildert und damit bewohnbar gemacht worden. Mir ging es jedoch um die Sprachlosigkeit angesichts dieser, beschriebenen, unheimlichen Entfremdung. Um die Suche einer Sprache und darum, wie sich die einzelnen Protagonisten dazu verhalten.
Was fasziniert Dich an diesem Text? Wie bist Du zum Fan antiker Dichter geworden?
An Lukrez fasziniert mich immer wieder die gewaltige, dramatische Sprache. Er beschreibt Dinge und Phänomene unserer Welt und entreißt sie gleichzeitig der mythologischen Erzählung, konstruiert kausale Zusammenhänge und Beweisführungen und plötzlich erscheint ein poetisches Ich, die Stimme des Autors. So wie in den ersten Worten »nicht dass wie Flammen die Mauern des Weltalls auseinanderbrechen .....und die Erde dem Fuß sich reißend entziehe....«
In der Oper spielt das Gemälde »Jäger im Schnee« von Pieter Bruegel eine zentrale Rolle. Hast Du auch für »Spazio immergente III« ein Bild vor Augen?
In »Spazio immergente III« schwebt mir vielmehr ein Bild des freien unendlichen Falles des singenden Subjektes vor. Die Wahl der Posaune als Gegenstimme könnte einer apokalyptischen Darstellung entlehnt sein.
»Schnelle Veränderungen sind für den Menschen traumatische Erfahrungen« hast Du einmal in einem Interview gesagt. Welche gesellschaftlichen Veränderungen beobachtest Du, welche beschäftigen Dich? Gibt es Entwicklungen, die Dich beunruhigen?
Wie sehr scheint der Anfang des zitierten Textes von Lukrez unsere heutige Situation zum Ausdruck zu bringen: gefangen in einem undurchlässigen Raum der Notwendigkeiten, ist etwas in Gang gebracht, das sich unserer freien Entscheidung zu entziehen scheint: die ungeheure Wut der Zerstörung der Natur und letztlich unserer Lebensgrundlagen und in der Folge Kriege, Gewalt und soziales Elend. Der Boden scheint sich uns in rasanter Geschwindigkeit zu entziehen.
Welche Veränderungen in der Musik sind für Dich bedeutsam? Sind es eher Brüche oder Entwicklungen, die Dich in der Musikgeschichte reizen?
Natürlich keine Brüche ohne Entwicklungen. Obwohl Kontinuitäten immer nachträgliche Konstrukte sind, glaube ich, dass zumindest seit der Renaissance, aber auch schon vorher, das Erscheinen eines Kunstwerkes in der Welt immer in gewisser Weise eine Singularität oder ein plötzliches Umdeuten des Dagewesenen bedeutet. Siehe Orfeo von Monteverdi, siehe Gesualdo, Wagner, Strawinsky und Varèse.
Was interessiert Dich am Komponieren? Was hat sich geändert in Deinem Komponieren? Welche Verbindung zum Hier und Jetzt suchst Du in Deiner Musik?
Auch wenn ich mich immer wieder mit alten Texten auseinandersetze, geht es immer um das Hier und Jetzt. Ich versuche immer wieder meine reale Welt zu beschreiben, um sie damit zumindest ein Stück weit verstehen zu können.
Der Text ist ein Originalbeitrag für das Programmheft der resonanzen fünf »bruch«.