Enno Poppe im Interview mit Patrick Hahn
Enno Poppes Musik wird von tollen Ensembles auf der ganzen Welt gespielt, in den großen Konzerthäusern in Los Angeles, Köln oder Wien, aber auch auf den »Hardcore«-Neue Musik-Festivals in Witten und Donaueschingen. Hättest Du Dir jemals träumen lassen, dass Tabea Zimmermann ein Bratschenkonzert von Dir spielt?
Das Repertoire von Tabea ist einzigartig. Schon vor 20 Jahren hat sie die Bratschensonate von György Ligeti uraufgeführt, ein wunderbares Bratschenkonzert von Heinz Holliger und vieles mehr. Es gibt in der »Champions League« der Interpreten, in der Tabea spielt, nur sehr wenige, die sich so intensiv mit neuen Stücken beschäftigen wie sie. Den Grund dafür darf man nicht nur darin suchen, dass es für die Bratsche vergleichsweise wenig »traditionelle« Literatur gibt. Das hängt wirklich mit Tabeas unglaublicher Neugier zusammen und ihrer Lust, Dinge auszuprobieren. Vor zwei Jahren haben wir uns das erste Mal getroffen. Beim Kennenlernen haben wir gleich ein wenig Kammermusik gespielt. Das war von Anfang an eine äußerst schöne Zusammenarbeit, unheimlich toll und sehr tief.
Das kommt bestimmt nicht so häufig vor, dass man als Komponist seinem Interpreten erst einmal als Kammermusikpartner begegnet.
Das stimmt. Viele Interpreten, die regelmäßig mit lebenden Komponisten zu tun haben, verhalten sich ihnen gegenüber anders. Die wissen schon vorher, was Komponisten gerne sehen und meist denken sie viel technischer. Das war bei Tabea überhaupt nicht so. Ich bin auch zunächst mit spieltechnischen Fragen zu ihr gekommen. Ich wollte herausfinden, wie das Vibrato sich verhält und was man alles mit Vibrato machen kann. Das erste, was sie mir daraufhin gesagt hat, war: »Das Vibrato gehört mir«. Und: »Vibrato ist das schönste was die Interpreten zur Verfügung haben, das ist etwas Persönliches«. Eigentlich wollte sie zunächst überhaupt nicht, dass ich als Komponist darüber in der Partitur »verfüge«. Sie rechnete das zu »ihrer Arbeit«, zu entscheiden, welche Farben man an welcher Stelle nimmt.
Wenn du das Stück jetzt heute anschaust, welche Resonanzen hat eure Begegnung in dem Stück hinterlassen?
Da bin ich wirklich auf die Probenphase gespannt. Meine innere Klangvorstellung ist zwar nicht schlecht, aber ich kann mir eben nicht alles vorstellen, was Tabea Zimmermann noch mit meinen aufgeschriebenen Noten machen wird. Ihr Ton ist einfach so großartig! Sie setzt einfach die Bratsche an und spielt einen Ton und du denkst: Wow! Das kann ich mir so toll gar nicht vorstellen, wie sie es dann spielt.
Es gibt bereits einige Stücke von Dir, in denen der Bratsche eine prominente Rolle zukommt, z. B. dein Stück Salz beginnt mit einem aufregenden Bratschensolo. Was fasziniert dich an diesem Instrument?
Das weiß ich ehrlich gesagt nicht so genau. Auch Keilschrift fängt mit Bratschensolo an, Wald und Speicher ebenso. Vielleicht liegt es daran, dass die Bratsche im tutti in Ensembles oftmals ein bisschen untergeht und nicht immer gut zur Geltung kommt. Deshalb habe ich sie vielleicht an den Anfang gestellt. Ich liebe ihre Klangfarbe, die Wärme, die sie ausstrahlt.
Wärme ist ein gutes Stichwort, das zum Titel führt: Filz. Das ist auch ein Material, das man mit Wärme verbindet, im Schaffen von Joseph Beuys hat es zugleich auch die Bedeutung von Schutz, Heilung ... Bist du jetzt in deine Beuys-Phase gekommen?
Vielleicht? Es gäbe da noch viele schöne Möglichkeiten. Das Wärmende und das eng Verflochtene sind sicher gute Assoziationen.
Innerhalb des Streicherklangs stechen die vier Klarinetten heraus ...
Von Beginn an wollte ich dieses Stück nicht allein mit Streichorchester machen. Und der Klang von vier Bassklarinetten ist einzigartig eigenartig. Dahinter steht die Idee, dass die Bratsche zwar schon sehr warm ist, aber dass ich für das Stück noch eine Art Fußbodenheizung brauche. Also die Wärme, die aus der Tiefe kommt. Die passt ideal zur Bratsche.
Spätestens seit Beethovens Violinkonzert ringen die Komponisten mit der Form eines Solokonzerts. Inwiefern hat dich diese Form gereizt?
Ich mag immer das Dialogische, wenn sich Dinge aufeinander beziehen, vor allen Dingen auch Kommunikation unter Musikern. Andererseits finde ich es toll, etwas wirklich in den Mittelpunkt zu stellen. In diesem Stück konnte ich beides miteinander verbinden. Es werden unheimlich viele Facetten der ursprünglichen Bratschenmelodie sichtbar, die ich durch alle Register führen und in den verschiedensten Varianten zeigen kann, zugleich hat sie stets einen Untergrund. Im Grunde bleibt es ein Solostück, das aber verdichtet, vergrößert und weitergetragen wird. Manchmal verschwindet die Solistin auch in dem ganzen Gebilde. Sie ist dann mal weg und kommt wieder hervor. Das finde ich sehr faszinierend.
Nun sind die Künstler des Ensemble Resonanz Dir auch keine Unbekannten – sie haben Dein Stück Wald für vier Streichquartette uraufgeführt, das Du auch oft dirigiert hast. Was zeichnet das Ensemble in Deinen Augen aus?
Die Vielseitigkeit. Es ist ja ein Ensemble, das die ganze Bandbreite des Repertoires mit Leidenschaft spielt. Diese Vielfalt findet sich auch im Ensemble. Außerdem sind die Musiker alle unheimlich leidenschaftlich bei der Sache. Die spielen auch Neue Musik nicht so »Neue-Musik-mäßig« wie man das manchmal erlebt, sondern mit einer wirklich unheimlichen Wärme - und Feuer.