Text: Patrick Hahn
Im Konviktsorchester spielte Franz Schubert Bratsche. Dieses »Schülerorchester« war für den Sängerknaben der Hofkapelle Franz Schubert aber nicht nur der Ort, an dem er spielend die Musik der Klassiker Haydn und Mozart kennen lernte – es war auch der Ort seiner ersten eigenen sinfonischen Experimente. Schuberts fünfte Sinfonie zählt zu seinen sogenannten Jugendsinfonien – wobei fragwürdig ist, was dann wohl »späte Sinfonien« eines Komponisten sind, der mit 35 Jahren verstorben ist.
Schubert war neunzehn Jahre alt, als er seine fünfte schrieb. Sie unterscheidet sich von vielen anderen berühmten fünften Sinfonien (Beethoven! Bruckner! Mahler! Schostakowitsch!) schon dadurch, dass sie nicht schicksalsbefrachtet tragisch ist, sondern eine Heiterkeit ausstrahlt wie sie nur jenen eignet, die den Wahnsinn schon hinter sich haben. In der Tat war Schuberts »Tragische« seine vierte, aber auch das half ihr nicht gegen das Verdikt, das einflussreiche Komponisten und Kritiker im späten 19. Jahrhundert über seine frühen Sinfonien verhängten. Brahms hielt sie für »Vorarbeiten«, die »nicht veröffentlicht«, sondern »nur mit Pietät bewahrt und vielleicht durch Abschriften mehreren zugänglich gemacht werden« sollten. Noch im Musikführer des Schubert-Forschers Arnold Feil liest man 1991, Schuberts frühe Sinfonien seien »wahrscheinlich überschätzt«. Really?
Was die Rezipienten Schuberts Fünfter schon früh ankreideten, war ihre Orientierung am Vorbild Mozart. Der Dirigent und Musikdenker Hartmut Haenchen erkennt genau darin den Reiz der Sinfonie. »Wenn auch der Wiener Kritiker Eduard Hanslick die 5. Sinfonie in B-Dur von Franz Schubert‚ einen schwachen Abguss von Mozart’ nannte, so denken wir, dass wir hier hören […], dass wohl eine große Anzahl Details der Komposition von Mozart durch Schubert übernommen wurde (Orchesterbesetzung, Satzfolge, Satzcharaktere, Tempobezeichnungen, musikalische Periodizität und im Menuett selbst deutliche thematische Anklänge), dass aber die sinfonische Idee bereits in die Romantik verweist und somit die Grundlage für die weitere Entwicklung der sinfonischen Form bei Schubert und seinen Nachfolgern bildet.« Diese Nähe zum großen Vorbild – namentlich zu dessen großer g-Moll-Sinfonie KV 550 – empfand selbst Schuberts Bruder Ferdinand als fehlerhaft und ergänzte bei der ersten öffentlichen Aufführung der Sinfonie, dreizehn Jahre nach Schuberts Tod, die vermeintlich »fehlenden« Trompeten-, Posaunen- und Paukenstimmen.
Schuberts Begeisterung für Mozart zur Entstehungszeit der Sinfonie ist verbrieft. »Ein heller, lichter, schöner Tag wird dieser durch mein ganzes Leben bleiben«, heißt es in Schuberts Tagebuch im Juni 1816. »Wie von ferne leise hallen mir noch die Zaubertöne von Mozarts Musik. […] So bleiben uns diese schönen Abdrücke in der Seele, welche keine Zeit, keine Umstände verwischen, u. wohltätig auf unser Dasein wirken. Sie zeigen uns in den Finsternissen dieses Lebens eine lichte, helle, schöne Ferne, worauf wir mit Zuversicht hoffen. O Mozart, unsterblicher Mozart, wie viele, o wie unendlich viele solche wohltätige Abdrücke eines lichtern bessern Lebens hast du in unsere Seelen geprägt!« Nur wenige Monate später schrieb Schubert seine fünfte Sinfonie. Direkte Referenzen machen sich neben der Besetzung auch im Seitenthema des langsamen Satzes bemerkbar, der an das »Briefduett« aus Mozarts Figaro erinnert. Das Menuett weist in seiner Tonartendramaturgie darüber hinaus Ähnlichkeiten auf. Ein spürbarer Unterschied zwischen diesem »frühen Schubert« und dem »späten Mozart« der g-Moll-Sinfonie ist wohl darin zu sehen, dass Schubert noch einen anderen Grad von scheinbarer Einfachheit zu erzeugen vermag – nicht mit weniger Kunst als Mozart, wenn auch auf den ersten Blick mit einer Spur weniger Schmerzpotential. Aber wie er hier harmonisch agiert, zeugt davon, dass Schuberts vermeintliche Einfachheit vor anderem Hintergrund stattfindet. Es sind die leichten Schritte eines Wanderers, der weiterläuft, obwohl er weiß, dass unter ihm der Abgrund gähnt.