Text zum Programm von Thilo Braun
Text: Thilo Braun
Die Brandenburgischen Konzerte sind ein Motivationsschreiben. Eine Bewerbung des Köthener Kapellmeisters Johann Sebastian Bach an den Markgrafen Ludwig von Brandenburg. Das jedenfalls lässt Bachs Widmungsschreiben vermuten, in dem er versichert, nichts würde ihn so sehr erfreuen, wie »zu Gelegenheiten herangezogen zu werden, die Ihrer und Ihres Dienstes würdig sind«. Dabei sind die Bedingungen in Köthen, wo die Konzerte entstehen, alles andere als beklagenswert: Bach bekommt als Kapellmeister ein gutes Honorar, komponiert für eine ungewöhnlich üppig besetzte Hofkapelle und dient bei Leopold von Köthen-Anhalt einem Fürsten, der nicht nur Bewunderer seiner Kunst, sondern sogar selbst hervorragender Musiker ist.
Über die Gründe, warum Bach nach etwa vier Jahren im Dienst dennoch mehrfach nach neuen Arbeitgebern sucht, kann nur spekuliert werden. Manche glauben, es lag am Tod seiner ersten Frau Maria Barbara im Jahr 1720 und am Wunsch, einen Neuanfang zu wagen. Andere vermuten, das Musikinteresse des Fürsten verebbte nach dessen Heirat, sodass Bach sich nicht mehr wertgeschätzt fühlte. Vielleicht ist neben diesen Gründen auch die Eitelkeit Schuld. Bach, dem Titel und Prestige immer wichtig waren, konnte sich mit der Kapellmeisterstelle einer Provinzstadt kaum zufriedengeben. War seine Musik nicht für die Musikmetropolen der Stadt mindestens so geeignet wie die seines Konkurrenten Telemann, der überall als Meister verehrt wurde? Wenn der Markgraf zu Brandenburg, dessen Musikkapelle damals die beste im Großraum Berlin darstellte, von seiner Qualifikation überzeugt werden sollte, musste also ein Werk her, das alle Stärken seines Schöpfers präsentierte.
Die Brandenburgischen Konzerte sind eine Sammlung von sechs Einzelwerken für diverse Soloinstrumente und Orchester. Das fünfte nimmt in vielerlei Hinsicht eine Sonderrolle ein. Einmal wäre da die Besetzung mit Traversflöte, ein Instrument, das damals als absolut avantgardistisch gilt und wofür es noch kaum eigenes Repertoire gibt. Zum anderen wird das Werk immer wieder insgeheim als erstes Cembalokonzert gehandelt, was auf die Ungleichheit der Soloinstrumente hinweist. Das Instrument diente damals meist als Begleitstimme und harmonisches Fundament des Ensembles – die Gattung Solokonzert für Cembalo hatte sich noch nicht etabliert.
So sind es im ersten Satz zunächst Flöte und Geige, die im Vordergrund stehen. Nachdem das Orchester den Satz mit einem nervösen Thema, dem sogenannten Ritornell, eröffnet hat, beginnen sie abwechselnd, ihre thematischen Gedanken auszutauschen. Immer wieder grätscht das Orchester aufgewühlt dazwischen, doch die Soloinstrumente lassen sich in ihrer noblen Rede nicht beirren. Das Cembalo wahrt zunächst höfliche Zurückhaltung, umspielt das Geschehen in Trillern und plätschernden Sechzehntelfiguren, kommentiert ein wenig. Bis plötzlich die Sicherung durchbrennt.
Nach etwa sechs Minuten, in der Mitte des ersten Satzes, beginnt das Cembalo wie wild, halsbrecherische Läufe über die Klaviatur zu jagen. Den anderen Instrumenten verschlägt es darüber geradezu den Atem, es folgt eine Solokadenz. Das Cembalo nutzt die Gunst der Stunde, um zunächst in Seelenruhe das vorgestellte Material von Flöte und Geige zu reflektieren, bevor es die Thematik auf immer virtuosere Weise weiterentwickelt und variiert.
Wenn Johann Sebastian Bach innerhalb eines Tripelkonzerts eine solche Kadenz schreibt, kann er gleich doppelt sein Können unter Beweis stellen: Einmal als Komponist, der über die Moden und Entwicklungen seiner Zeit bestens vertraut ist, zum andern aber auch als virtuoser Tastenkünstler.
Dass es als Folge der Widmung Aufträge des Markgrafen von Brandenburg gegeben hätte, ist nicht bekannt. Eine prestigeträchtige Stelle wird Bach nur kurze Zeit später dennoch bekommen, wenn er 1723 nach mehreren Bewerbungsrunden und mit etwas Glück als neuer Thomaskantor in Leipzig das Amt antritt.
Bach trug die Verantwortung über die Kirchenmusik in den vier Stadtkirchen Leipzigs und musste im Rahmen der Gottesdienste jährlich rund sechzig Kantaten aufführen. Das bedeutete zwar einige Arbeit, brachte jedoch (anders als in Köthen) auch das Versprechen mit sich, seine Musik einer breiten Hörerschaft zu präsentieren. Als Universitätsstadt bot Leipzig aber auch außerhalb der Kirchenmusik attraktive Möglichkeiten: unter den Studierenden gab es mehrere semiprofessionelle Musikgruppen, die sich mit Auftritten bei Festtagen etwas Geld dazuverdienten oder in lockerer Runde im Kaffeehaus zu Hausmusik einluden. Möglicherweise wurde auch Bachs erstes Cembalokonzert bei einem Kaffeehauskonzert uraufgeführt, jedenfalls hatte Bach 1739 zur Fertigstellung des Werks die Leitung eines solchen »Collegium Musicum« übernommen.
Dass Bach neben seiner Kantorenstelle so vielfältige Projekte anzettelte, war manch einem Ratsmitglied ein Dorn im Auge. Immer wieder gibt es Vorwürfe, der Kantor sei unzuverlässig und vernachlässige seine Unterrichtspflichten. Bach wiederum schimpft über unzureichende Mittel und schlechte Musiker, fühlt sich eingeengt und unter Druck gesetzt.
Wenn man so will, ist auch das erste Cembalokonzert ein musikalischer Schlagabtausch. Aufgebracht und energisch beginnt das Orchester im Unisono, woraufhin das Cembalo in tiefer Lage zurückpoltert. Die Vorwürfe des Beginns kehren immer wieder, synkopische Rhythmusverschiebungen peitschen die Stimmung auf, repetierende Liegetöne beharren auf ihrem Standpunkt, in schnellem Hin und Her stürmen die Diskutanten voran. Diesem Gefecht folgt lähmende Trübseligkeit im Mittelsatz. Mühsam schleppt sich das Thema in den Streichern voran, immer wieder von Pausen durchbrochen, doch harmonisch rastlos. Über einem durch dissonante Reibungen verzerrten Fundament beginnt das Cembalo ein Klagelied, die Kraft reicht nur für die Melodie in der rechten Hand, die linke übernimmt unauffällig und müde den begleitenden Continuopart, bevor im dritten Satz die virtuose Debatte zwischen Orchester und Cembalo wiederaufgenommen wird.