Das Programm der resonanzen zwei
Im heutigen resonanzen-Konzert wird alles wild gemischt. Der Titel remember me ist zunächst ein Zitat aus Purcells Oper: »Remember me, but ah! Forget my fate« singt Dido, kurz vor ihrem Suizid am Ende der Oper. Remember me beschreibt aber auch die Rückbesinnung Kalle Kalimas auf seine früheren Arbeiten für Lyon und Ansbach, beide werden bruchstückhaft zwischen das Opern-Original geschoben.
»Ohne Vorwarnung schneidet der erste Akkord der Ouvertüre mitten ins Herz und droht es in Stücke zu reißen.«, so beschreibt die Musikwissenschaftlerin Sabine Gruber die Wirkung des niederschmetternden Beginns von Purcells Oper. Kurz hellt sich die Stimmung auf, dann folgt Didos erste Arie: Ah! Belinda I am prest with torment, ein nach barocken Formen gezeichnetes Idealbild der Trauer. Im Bass kreist der Ground, ein stets wiederholtes Melodiemotiv. Er läuft auch nach der Arie weiter, jedoch mischen sich nun Störklänge Kalle Kalimas hinein. Erst einzelne, verwirrte Harmo- nien, dann Kratzen, Kreischen, Wüten auf den Streichinstrumenten, bis alles mündet in einem dichten, giftigen Clusternebel, der alle Synapsen versperrt. Da weint jemand. Ein leises, beinahe unscheinbares E-Gitarren-Wimmern, kaum mutig genug, die Stimme zu erheben. Es ist die Musik seelischer und psychischer Überforderung, der Ausdruck brodelnd durcheinander- flirrender Empfindungen eines psychisch krankhaften Menschen. Wir sind hinabgeglitten ins Unterbewusstsein Didos.
Aus solch verstörenden Momenten findet die Musik, oft über improvisatorische Passagen, zurück in einen rhythmischen Puls. Mal in bluesige Lamenti, mal in hoffende, aus flüsternden Flageolett-Klängen erwachsen- de Balladen wie in der Passacaglia aus Kalimas Louhi. Die konkrete Handlung von Purcells Dido ist dabei kaum von Bedeutung. Im Zentrum steht der Kontrast widersprüchlicher Empfindungen, auch der Kampf zwischen innerer und äußerer Welt. Wie kann das Volk so lachen, die Sonne so strahlen, wo doch in mir alles wüst und leer ist? So scheint Dido zu fragen.
Ergänzt wird dieser musikalische Erinnerungsstrudel schließlich durch Ausschnitte aus Briefen des Bombenattentäters Sam Melville, die er im Frühjahr 1971 aus der Haftanstalt Attica an seinen Bruder schickte. Es handelt sich um den Kommentar eines Menschen in Gefangenschaft, der durch die Artikulation seiner Eindrücke versucht, nicht verrückt zu werden, während um ihn herum schon der Wahnsinn regiert: »In the indifferent brutality, the incessant noise, the experimental chemistry of food, the ravings of lost hysterical men, I can act with clarity and meaning.« Ein paar Wochen nachdem er diese Zeilen schreibt, kommt es in dem Gefängnis nahe New York zum gewaltsamen Aufstand der Häftlinge. Es werden Geiseln genommen, die Nationalgarde greift ein, am Ende sterben 32 Menschen. Unter ihnen ist auch Sam Melville.
Thilo Braun