Programmhefttext zu Henry Purcells Fantasias und Songs
Text: Tobias Ruderer
Benjamin Britten hat über den Barockkomponisten Henry Purcell gesagt, es scheine nichts gegeben zu haben, was dieser nicht gekonnt hätte. Und als er gefragt wurde, wer ihn in der Vertonung von Gedichten am stärksten beeinflusst habe, war die Antwort ebenfalls: Purcell.
Purcell gehört wie Dowland zur Tradition der englischen Musik, die Britten beerben wollte. Dabei war gleichzeitig der Anschluss an die kontinentale Moderne zu vollziehen, nachdem die Insel im 19. Jahrhundert eine musikalische Durststrecke zurückgelegt hatte. Diese Herausforderung, die der Musikkritiker Ernest Newman mit einem Wortspiel als das »Battle of Britten« bezeichnet hat, verschärfte sich durch den Umstand, dass Britten als homosexueller Außenseiter jederzeit seine bürgerliche Reputation zu verlieren fürchtete.
Britten bezog sich ausdrücklich und häufig auf Dowland und Purcell, bearbeitete zahlreiche Werke der beiden Komponisten, die vor allem für ihre Vokalwerke gefeiert wurden. Auch für Britten war der Gesang Ursprung aller Musik, das Ideal jedes Instrumentalisten sollte das Singen sein.
Während Dowland vor allem als Erfinder von Liedern mit Lautenbegleitung hervortrat, war Purcell ein großer Erneuerer der englischen Oper und Theatermusik. Seine Fairy Queen, aus der in diesem Programm zwei Arien erklingen, basiert auf einer Bearbeitung von Shakespeares Sommernachtstraum, den Britten Jahrhunderte später selbst vertonte. Als Nachfolger des Orpheus Britannicus, wie man Purcell genannt hat, sah sich, selbstbewusst und demütig zugleich, Benjamin Britten.
Alle drei Komponisten waren eher melancholischen Gemüts: »Semper Dowland, semper dolens« nannte Dowland eines seiner Stücke. In dem in Brittens Lachrymae verwendeten Lied Flow my tears symbolisieren die ersten Töne der Melodie fallende Tränen. Auch Henry Purcell schrieb einige der bewegendsten Lamenti, wie den in diesem Konzert aufgeführten Klagegesang O let me weep, bei dem sich die Stimmen von Sopran und Geige über einer unablässig wiederholten absteigenden Basslinie miteinander verschränken. Und Britten? Soll auf seinem Sterbebett geäußert haben: »For the unhappy, death is not a catastrophe.«