Patrick Hahn über Berlioz' »Veni creator spiritus«
Wer einmal die ketzerische Freude erlebt hat, mit der das trunkene Gefolge des Zechers Brandner in La damnation de Faust sein Lied von der vergifteten Ratte mit einer Amen-Fuge quittiert, dem ist kaum vorstellbar, dass Hector Berlioz der kirchlichen Musik anders als mit einem spöttischen Lächeln gegenüber stehen könnte. Und das nicht obwohl, sondern weil die Apotheose Gretchens am Ende der dramatischen Legende so ungeheuer schön ist. Die Frömmigkeit, die darin anklingt, sie ist vollkommen naiv und volkstümlich: Ein Himmel, der voller Geigen hängt, in dem die Engel Harfe spielen und in denen Heilige in golddurchwirkten Gewändern mit schiefem Kopf auf die armen Sterblichen herabblicken. Unglaublich, dass Berlioz, dieser faustische Feuerkopf an einen solchen Himmel geglaubt hat. Viel zu gut kannte er sich offensichtlich in der Hölle aus, die er in seiner Grande messe des morts in zuvor ungekannter Plastizität ausmalt. Doch ebenso drastisch, wie er sich den »Tag des Zornes« – beispielsweise auch in seiner Symphonie fantastique – auszumalen vermochte, genau so paradiesisch konnte er den Himmel zeichnen. Das wird auch deutlich in seinem Oratorium »L’enfance du christ«, in der er sich den Blutrausch des um seine Zukunft bangenden Herodes ebenso expressiv herbeifantasiert, wie er ein stilisiertes Krippenbild der Heiligen Familie schnitzt. Beide Sichtweisen hatte er von früher Kindheit in La-Côte-St-André, einer kleinen Gemeinde im Bas Dauphiné, kennen gelernt: mit einer katholisch-frommen Mutter und einem naturwissenschaftlich-skeptizistischen Vater. Man muss keine Gender Studies betrieben haben, um in den Chorwerken von Hector Berlioz eine gewisse »geschlechtsspezifische Stimmbehandlung« auszumachen. Die meisten darunter, knapp zwanzig, sind für Männerstimmen geschrieben, häufig patriotischen Charakters und zeichnen sich durch dröhnende Tatkraft aus. Die drei letzten Chöre schrieb er jedoch für Damenstimmen, sie sind entstanden auf Anfrage des Kapellmeisters der Pariser Kirche St. Sulpice und wurden von diesem in einem Kompendium mit geistlicher Chormusik veröffentlicht. Schon die Beschränkung auf das hohe Register gibt der Motette Veni creator spiritus ein ätherisches Gepräge. Selbst in dieser kleinen Form sucht Berlioz eine Möglichkeit zu dramatischer Wechselrede, hier zwischen drei Solostimmen und Chor. Welcher »Schöpfer Geist« wollte sich dem Lockruf dieser innig flehenden und treu schmachtenden Sirenen wohl entziehen?
Der Geist, wie er von Berlioz in diesem kleinen Gelegenheitswerk beschworen wird, ist freilich ein anderer als jener, der die Geisteswissenschaften beherrscht. Mit Ausnahme der Theologie, die diesen Heiligen Geist erforscht. Es ist auch ein anderer Geist als jener, den Eduard Hanslick meinte, als er 1854 versuchte, in seiner Schrift über das Musikalisch-Schöne zu definieren, dass »Componieren […] ein Arbeiten des Geistes in geistfähigem Material« sei. Hanslicks so tätiger Geist ist wohl am ehesten verwandt mit jenem, den Hegel in seiner Geistesphilosophie auftreten lässt: dem Weltgeist, der in der Bewegung des Welt-Werdens zu sich selbst kommt. Hegels Geistesphilosophie klingt auch noch an, wenn Theodor W. Adorno im 20. Jahrhundert formuliert, im »Material« der Musik schlage sich der »sedimentierte Geist« der Epoche nieder. Dass auch dieser adornitischen Erkenntnis wie jeder anderen ebenfalls ein Zeitkern innewohnt – man könnte auch sagen: ein Verfallsdatum – muss nicht gesondert betont werden.